Religion: Im Disput mit Zeugen Jehovas     1.Teil                    

 

Der häufig benutzte Satz,
ein Glaubensdetail sei aus einer bestimmten Bibelstelle „abgeleitet“,
verlangt nach Erläuterung katholischen Denkens.


Die „Lehre der Apostel“ wurde im Laufe der Jahre nach und nach bedarfsweise schriftlich fixiert - in Briefen und in Erzählungen, die in den Versammlungen (Ecclesia, Kirche) verwendet wurden. Diese Schriften hatten situativ unterschiedlichen Inhalt und Schwerpunkt - das Paradestück ist das Johannäische Evangelium, das offenbar die vorhandenen Schriften ergänzen und die Schwerpunkte zurechtrücken sollte.

Bald war es notwendig, die vorhandenen Schriften zu sortieren und diejenigen auszuscheiden, welche nicht der Lehre der Apostel entsprachen. Die bedeutendsten der akzeptierten Schriften wurden als „inspiriert“ autorisiert, wobei die Gesamtheit der Lehre der Apostel bestimmend war. Es gab erhebliche Meinungsverschiedenheiten z.B. zum Johannes-Evangelium, dessen Befürworter gerade argumentierten, hier sei besonders das ganze Wesen Jesu Christi, eben auch sein Gott-Sein, überzeugend herausgestellt.

Natürlich gehen wir davon aus, dass diese Diskussionen und Entscheidungen vom Hl Geist inspiriert und geleitet wurden. 
Aber: 

Die Kanonisierung folgte den Glaubensinhalten!

Die Griechischen Schriften standen nicht am Anfang, sondern sie etablierten sich innerhalb der Überlieferung ( = „Tradition“). Zum Beispiel glaubten offenbar die ersten Christen (gem Apg 12:15) an einen persönlichen Engel (der vor der Türe stehe); ein Schutzengelglaube wird also aus Schriftstellen nicht abgeleitet, sondern durch sie bestätigt. 
Nach katholischer Auffassung sind die Schriften wichtigster, weil fixierter Teil, aber eben Teil der überlieferten „Lehre der Apostel“.

Nun hat die Phantasie zu Auswüchsen geführt, welche die Reformatoren der beginnenden Neuzeit mit dem „nur die Schriften“ zu beschneiden gedachten. Jetzt war aber „die Schrift“ zu definieren, wobei einige Texte, welche den Erkenntnissen der Reformatoren nicht entsprachen, ausgesondert wurden . Deshalb sind katholischer und evangelischer Kanon nicht identisch. Die Neu-Definition der Schrift folgte also wieder der Glaubenstradition, danach aber solle „nur die Schriften“ gelten.

Die konsequente Fortsetzung zeigten die „Bibelforscher“, indem sie nun auch die Definitionen der „ökumenischen Konzile“ konsequent als Zeichen des vorhergesagten Großen Abfalls ablehnten und - als „wahre Christen“ wiederum inspiriert - neue Erklärungen und Auslegungen lehrten und lehren – folgend auch neueren Erkenntnissen.

Die katholische Glaubenslehre muss nicht vollständig in den Schriften enthalten sein, doch wird sie ihnen niemals widersprechen. Entscheidend ist der Glaube der katholischen Kirche (entsprechend der Lehre der Apostel),welche sich ausdrücklich nicht als Kirche der Schriften, sondern als 

Kirche des lebendigen und fortlaufend einwirkenden Jesus Christus

versteht. Ergänzende Offenbarungen sind nicht ausgeschlossen, können jedoch nur ergänzende Bedeutung haben (was sich bisher auch so darstellt). Der (verpflichtende) Glaubensinhalt wird vom Lehramt der (vom Hl Geist geführten) Gesamtkirche definiert (deshalb „katholisch“), bei zwingend auszuräumenden Streitfällen gegebenenfalls per Dogma.
Eine derartige Autorität ist den Zeugen Jehovas geläufig, nach reformatorischer Überzeugung hingegen (kein Amt!) lässt der Hl Geist den einzelnen Gläubigen beim Studium der Schriften nicht in die Irre laufen („wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind...“) - was logisch zu identischen Ergebnissen Aller, also zur Einheit der Reformierten führen müsste.

Die katholische Auffassung besagt

Schrift ohne Kirche ist lediglich Literatur,
das Zusammenwirken von Schriften und lebendiger Kirche im Hl Geist

erst macht die besondere Bedeutung der Bibel aus. Hier ist zu ergänzen, dass die katholische Kirche von einer Uroffenbarung an die Menschheit ausgeht und Heiden sehr wohl über Wahrheiten verfügen können, welche die der Kirche gewährten Offenbarungen ergänzen. Deshalb wurden Sitten und Gebräuche, aber auch überlieferte Erkenntnisse nicht allein deshalb abgelehnt, weil sie „heidnisch“ waren, sondern nur, wenn sie dem Glauben der Kirche widersprachen. Diese Auseinandersetzung wird bereits von den Evangelisten explizit beschrieben und durchzieht die ganze Kirchengeschichte, auch über die Formulierung des Nicäischen Glaubensbekenntnisses hinaus.
Glaubenslehre und Glaubensleben entwickeln sich - im Schutz des Hl Geistes! - mit der Schöpfung, insbesondere mit der Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Deshalb ist das Verhalten der Urkirche zwar bedenkenswert und bedenkensnotwendig, nicht aber bindend. Dass sich Gott wandelt, erst wird, wie manche Theologen diskutieren, dürfte kaum biblisch und christlich sein – wohl aber ist „im Wandel“ das wahrgenommene Gottesbild, besonders das Christusbild.

Die Schriften sind von Gott inspiriert, nicht aber diktiert – vermutlich nicht einmal formuliert. Sie berücksichtigen die Adressaten und deren Situation. So, wie man zwar einem Physik-Studenten den Magnetismus mithilfe der Maxwell'schen Gleichungen nahezubringen vermag, aber damit bei Savannenläufern auf Unverständnis stoßen wird, entsprechen die biblischen Ausführungen weitestgehend dem Verständnisvermögen der Zeitgenossen. Gott bedient sich in seiner Offenbarung der Sprache, den Bildern, der Verständnisfähigkeiten des Menschen in seiner Zeit und Umwelt, denn göttliche Sprache und göttliche Diktion wäre für uns nicht wahrnehmbar. Auch die erteilten Anweisungen dürften sehr wohl den augenblicklichen, zeitbedingten Erfordernissen entsprechen (zB Ernährungs- und Hygiene-Anweisungen). So hatten die Apostel keine übermächtigen Skrupel, eine der wichtigsten und augenfälligsten, nach dem Gesetz zum Heil zwingend notwendigen Gebote binnem kurzen zu kippen, nämlich  die Beschneidung "allen Männlichens".

Dieses Glaubensverständnis ist
ein fundamentaler Unterschied
im katholischen Denken zum protestantisch-reformatorischen, 
und man wird einen Katholiken nie verstehen,
wenn man sich dieses Unterschiedes nicht bewusst ist.

Jedem bleibt es unbenommen, den katholischen Ansatz abzulehnen...

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Neumünster, 16.09.2009      *      Egbert W Gerlich     *     egbert@tasar-org.de