Religion: Literatur                                                                            1.Teil               

 

Die bei Jesus Christus angewandte
Kreuzigungsmethode
ist auch heute noch Thema weltweiter Diskussion.
Die meisten Beiträge stützen sich auf wenige Autoren -
um nicht zu sagen: Alle stützen sich auf einen.

   

Schmidt, Paul Wilhelm: "Die Geschichte Jesu. Erzählt von...", Tübingen 1906

   

Schön zu lesen, schnell gelesen, schnell abgehakt. Auf der Suche nach Wahrheit führt dieses Buch nicht weiter.

   

"Da wurde der Pfahl auf dem Schädelberg eingerammt und Jesus an den Pfahl gehängt"

      

Das ist alles, kein Nachweis, keine Erklärung - außer einer Fußnote mit Verweis auf Mk 15:25. Es scheint aber ein weit umfangreicheres Werk zu geben, nämlich "Die Geschichte Jesu. Erläutert..." von 1904, aus dem die Zeugen Jehovas, Berlin, zitieren:

   

"Außer der Geißelung kommt für den Strafvollzu an Jesus [...] nur die einfache Art der römischen Kreuzigung in Betracht: 

die Aufhängung [...] an einen Pfahl, den [...] Jesus selber zur Richtstätte tragen bezw. nachschleppen musste. Beides folgt 

aus Mc 15, 21. Wenn Simon von Kyrene [...] sich einfach den [stauros] auflegen ließ, [...] so fällt damit die [...] Vorstellung
von einer Kreuzigung Jesu mit dem Patibulum hinweg" (Seite 387, 388)

   

Die Begründung wird wohl im nicht zitierten Text stehen, der mir aber nicht vorliegt. Der Hinweis auf Mk 15:21 ist genauso mager wie der oben. 

   

 

Leder, Karl Bruno: "Todesstrafe", Wien-München 1980

Teil II, Kap 2, Seiten 91 - 111

   

In diesem Teil des Werkes über Todesstrafen werden Verfahren der Kreuzigung besprochen. 

   

Akribie und Sorgfalt scheinen die Stärke des Autors nicht zu sein, denn als Bildnachweis muss ein "Darstellung des 19.Jh.s" genügen (wie werden sie, wie vieles andere auch, bei H.Fulda finden), und als Nachweis für die jüngsten Jerusalemer Kreuzfunde (u.a. der genagelte Fußknochen) lag ihm nichts Solideres vor als das Augstein'sche Jesus-Buch. Ob der Montanist Tertullian zu den Kirchenvätern zu rechnen ist, bleibe hier, da unwichtig, undiskutiert.

   

Das Kapitel wird ergänzt durch 21 Quellennachweise und zwar: 

5x    ohne Bezug auf eine Kreuzigungsmethodik (deshalb hier vernachlässigbar)

2x    Ergänzungen ohne Herkunftsnachweis

1x    obiger Augstein

6x    antike Schriftsteller (davon Plautus nach H.Fulda)

7x    Fulda, Hermann (s.u.)

                                                                              Ein Drittel aller oder die Hälfte der uns interessierenden beziehen sich also auf H.Fulda.

   

Wer sich in der Pfahl-These bestärkt sehen will, wird seine Freude haben, solange er nicht kritisch Vermutungen von Nachweisen unterscheiden mag. Leider ist alles, was der Autor als "wahrscheinlich" oder "sicher" bezeichnet, weder begründet noch gar belegt. 

   

Allerdings setzt er die Einschränkungen voran (S. 92), 

"es gibt ... von der Kreuzigung keine authentischen Darstellungen ...

es lassen sich in der umfangreichen Literatur des Altertums auch nirgends ausführliche Beschreibungen ... finden ...

Wir erfahren aus diesen beiläufigen Bemerkungen ... auch manch Widersprüchliches"


Dann folgt ein Konglomerat von Ausführungen, die offensichtlich von H.Fulda kritiklos übernommen sind, und von unbegründeten Vermutungen und Widersprüchen:
   
Seite 100:
"Als sicher kann man wohl annehmen, daß es feste, zusammengefügte Kreuze nie gegeben hat"
Das mag dem geneigten Leser plausibel klingen, begründet oder gar bewiesen wird es nicht.

Seite 106:
"... von seinen Jüngern hat kein einziger diese Kreuzigung als Augenzeuge miterlebt"
Man muss schon der Bibel sehr unkundig sein, um das unbegründet zu akzeptieren - bei H.Fulda unkritisch abgeschrieben?

Seite 111:
"Kaiserin Helena (soll) die drei Kreuze ... aufgefunden haben ... Die historische Wahrscheinlichkeit
dieser Erzählung ist natürlich gleich Null"

Dass dieses Ereignis legendenhaft ausgeschmückt wurde, ist wohl anzunehmen, aber dass der Kern historischer Unsinn sei, müsste wohl erst einmal belegt werden. Immerhin war zu der Zeit das Kreuzigen noch gebräuchlich, so dass das Auffinden alter Kreuze kaum anzuzweifeln ist. Wie alt sie wirklich waren und ob es die fraglichen Drei waren und ob man die wunderbare Unterscheidung glauben mag, kann dahingestellt bleiben.

 
Wenden wir uns nun dem Kreuzigungsablauf zu:

Zunächst wird die "übliche" römische Methode ausführlich beschrieben (S. 102):

"Eine römische Kreuzigung vollzog sich, alle Überlieferungen zusammengenommen, wie folgt:

Nach dem Urteilsspruch wurde dem cruciarius das Querholz auf den Nacken gelegt ... 

Auf der Richtstätte war der Pfahl bereits in die Erde gerammt ... "

 

Es folgt "die Kreuzigung des Jesus von Nazareth" (S. 106):

"Er muß ... sein Kreuz selbst tragen ... Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß es sich um den Pfahl ... selbst handelte. 

Dies wäre zwar ungewöhnlich gewesen, mochte aber vielleicht mit dem bevorstehenden

Passahfest zusammenhängen ... 

Dann kreuzigte man ihn - ob mit patibulum oder nur am einfachen Pfahl, ist nicht mehr zu entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit spricht für den Pfahl."

   

Über den Weg, auf dem der Autor zu seinen "ungewöhnlichen" Wahrscheinlichkeiten gelang, wird der wissbegierige Leser im Ungewissen gelassen. Dann aber, quasi im Nachgang gegen Tertullian (er hatte in "Adversus Marcionem 3, 19" Christi Kreuzigung "insigniter" = ausgezeichnet genannt) folgt die Kehrtwendung (S.110):

"...werden sie ihn mit größter Wahrscheinlichkeit eher auf die normale, übliche Art gekreuzigt haben"

   

Ja, was denn nun? "Ungewöhnlich" oder "normal, üblich"?

Diese Widersprüche müssen eigentlich auch dem oberflächlichen Leser ins Auge springen; für unsere Thematik kann man sich auf Leders Darlegungen beim besten Willen nicht stützen. Weit besser dürfte es sein, dort nachzusehen, woher der Autor sein Wissen bezogen hat, nämlich:  >>>

  

 

Fulda, Hermann: "Das Kreuz und Die Kreuzigung", Breslau 1878

   

Ein erfrischendes Werk - stylistisch schön, flott zu lesen, um Genauigkeit bemüht, streitbereit gegen Kontrahenten, mit oftmals schneidenden Seitenhieben auf zeitgenössische Vorgänge und besonders auf die katholische Kirche (was mit dem Thema strenggenommen nichts zu tun hat, aber durch die Eleganz wettgemacht wird - typisch für deutsche Veröffentlichungen in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts) ... Die wissenschaftliche Vorgehensweise und der Umfang der Untersuchungen machen verständlich, dass so mancher hier seine Weisheit hergeholt hat. Das heißt aber auch, dass sich die Vielfalt der Apologeten drastisch reduziert, wenn sich alle auf ein einziges Werk abstützen. Hier finden wir nämlich alles, was spätere Autoren (incl Leder) in ihren Büchern, Lexika und Enzyklopädien publiziert haben - und wohl auch den größten Teil dessen, was aus vorheriger Zeit bekannt war. 

Wer Fulda gelesen hat, kann sich den Rest ersparen, selbst wenn man seinen Vermutungen und Folgerungen - die er auch nur als solche bezeichnet, niemals als "Beweis" deklariert - nicht zustimmen mag. 

   

Nur wenige Lücken sind mir bisher aufgefallen:

1. Das Wesen einer Militärmaschinerie scheint ihm fremd zu sein, da unbeachtet.

2. Der Barnabas-Brief findet keine Erwähnung.

3. Die Beobachtung der Kreuzigung Jesu durch seine Jünger wird nicht nur bezeugt von dem von Fulda ganz einfach abgelehnten "4. Evangelium", sondern auch von Lk 23:49 ("alle seine Bekannten"); die Frauen gem Mt 27:55 scheint er zu den Jüngern nicht zu zählen.

4. Nahezu alle römischen Feldzeichen verfügten über eine Querstange, sehr häufig waren Standarten. Genauso wurden Harnische, die als Trophäen gleich Feldzeichen getragen werden sollten, mittels Querbalken aufgehängt. Will man in ihnen ein Abbild eines Gekreuzigten sehen, dann ist sehr wohl auch der mit ausgebreiteten Armen vorstellbar.

5. Der spätere Fund des genagelten Fußknochen auf Golgatha konnte naturgemäß keine Berücksichtigung finden - vielleicht wäre seine Beurteilung der Befestigung anders ausgefallen.

   
Unbedingt hervorzuheben ist, dass Fulda
1. betont, alle Quellen auf ihren zeitlichen Bezug und in ihrer zeitlichen Abfolge untersuchen zu müssen.
2. auch solche Quellen kritisch betrachtet, die seine Folgerungen stützen.
3. Seneca nicht nur mit mehreren Zitaten anführt, sondern auch seine Zuverlässigkeit abschätzt.
4. die Autoren der ersten nachchristlichen Jahrhunderte nicht nur ausführlich bespricht, sondern historische und theologische Argumentation sauber trennt.
5. die Argumentationen des 16.Jahrhunderts nicht unbesehen übernimmt, obwohl er in Bezug auf die Kreuzigung Christi zu ähnlichen Überzeugungen gelangt.

  

Zu unserer Frage nach der Form des Kreuzes Christi ist seine Argumentationskette:

1. Eine Definition der Kreuzigung ist nicht überliefert, deshalb war sie dem Henker überlassen.

2. Das Patibulum ist nur aus Rom bezeugt, deshalb wurde im Osten nur ein Marterpfahl benutzt - auch in späteren Zeiten.

3. Das theologische Argumentieren der Kirchenväter spricht dafür, dass die historische Form überdeckt werden sollte.

4. Eine Annagelung der Füße wird nicht berichtet, deshalb wurden sie nur angebunden.

5. Jesus wurde an einen Pfahl genagelt.

Diese Folgerungen sind nach seinem Dafürhalten äußerst wahrscheinlich, nirgends aber erhebt er den Anspruch, sie seien zwingend oder gar bewiesen.

     

     

Studierenswerte 359 Seiten verlangen eine eigene Würdigung!  

   

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Neumünster, 29.11.2009      *      Egbert W Gerlich     *     egbert@tasar-org.de