Materialwirtschaft:
Was ist was?
4.Teil
![]() Varianzgesteuerte Disposition:
NEUE DISPOSITIONSMETHODIK
Verknüpfung der Disopsitionsarten Die Varianzgesteuerte Disposition ist ein neuerer Ansatz zur Materialdisposition, der besonders äußerst unterschiedliches Verbrauchsverhalten der einzelnen Materialien berücksichtigt. Er ist der erste Ansatz, der auf dem Zeitaspekt in der Materialwirtschaft basiert, indem er die spezifische Wiederbeschaffungszeit eines jeden Einzelteiles ins Zentrum rückt. Die Varianzgesteuerte Disposition ("VA-Dispo") habe ich im Kern 1987 entwickelt und in einem deutschen Maschinenbau-Unternehmen erfolgreich eingesetzt. Zielsetzung war es,
- bedarfs- und verbrauchsgesteuerte Disposition zu vereinen,
- ein einfaches und zutreffendes Statistikverfahren als Prognose-Ersatz anzuwenden, - eine einfache und schnelle Steuerung des Bestellverfahrens zu ermöglichen.
Besonders die Verfahrenszuordnung der Materialien nach einer
ABC/XYZ-Matrix, welche die Flexibilität der Materialbewirtschaft geradezu stranguliert, sollte abgelöst werden. Das unten als Element 2 dargestellte
JESSI-Verfahren hingegen ist neueren Datums (2009) und noch nicht in
praxi erprobt. In dem 1987er Projekt war eine externe Lösung eingesetzt worden
zur Bestimmung von Sicherheitsbeständen anhand kalendarischer Verbrauchszeitreihen (Zoller, Klaus: "MeldeB", unveröffentlicht). In Simulationen hat sich der neue, einfachere Ansatz aber schon als
deutlich vorteilhaft herausgestellt.
bei der "bedarfsgesteuerten Disposition"
- das Negieren zufälliger Bedarfsfälle
- die Fehlprognose von Variantenteilen
bei der "verbrauchsgesteuerten Disposition"
- das Negieren aller Zukunftsinformationen
Die VA-Dispo ist eine einheitliche Methode für alle Materialarten und besonders leicht auszubauen zu einem Steuerungssystem für die Materialwirtschaft. Rechtzeitig definierte Bedarfe werden zusammengeführt mit Prognosen für kurzfristig zu erwartende Bedarfsfälle. Basis sind die spezifische Wiederbeschaffungszeit (WBZ) des jeweiligen Einzelteils und dessen gleitend geglätteter Verbrauch in den vergangenen Perioden der Wiederbeschaffungszeit. Auch eine getrennte Betrachtung von Programm- und Ersatzteilen entfällt, und gerade die so störenden Paketaufträge werden problemlos berücksichtigt.
Die Elemente der VA-Dispo sind: 1. BESSI (Bedarfs-Selektion & -Integration): Trennung der Bedarfe nach
Vorlaufzeiten An
dieser Stelle soll nicht verschwiegen werden, dass die VA-Dispo
wirklich gut harmoniert mit einem EDV-System, das Bedarfs- und
Bestellmengen nicht in feste "Töpfe" kumuliert, sondern die einzelnen
Sätze wie in einer üblichen Kontoführung erhält. Also möglichst keine
Dinosaurier aufpolieren!
Im
Einzelnen:
1. BESSI: Trennung der
Bedarfe nach Vorlaufzeiten
Die VA-Dispo trennt für die Bedarfsermittlung Ziele sind - die Verarbeitung aller relevanten Bedarfs-Informationen aus Vergangenheit und Zukunft in einem einheitlichen Verfahren
- die Erhöhung des Servicegrades durch deterministischen Dispositionsanteil - das Aufbrechen der Methodenfixierung aufgrund der üblichen ABC/XYZ-Analysen
2. JESSI: Bestimmung des gesicherten Planbedarfs
Die VA-Dispo hingegen stützt sich nicht auf Planperioden, sondern summiert die Kurzfrist-Verbräuche der
letzten, der WBZ entsprechenden Zeitspanne gleitend auf zu einem Wert für die WBZ, denn nur der Zeitraum der WBZ ist
dispositiv von Bedeutung - und es werden ausschließlich
Verbräuche aufgrund der gekennzeichneten Kurzfristbedarfe berücksichtigt, da für
Langfristbedarfe regelmäßig keine Vorkehrungen erforderlich sind (sie werden
später zusammengeführt: u.a. Nr 3). b) Bestimmung des
gesicherten Kurzfrist-Planbedarfs Ziele sind - die Vereinfachung der stochastischen Bedarfsermittlung
- die Zusammenfassung der beiden statistischen Verfahren für Bedarf und Sicherheit - die bessere Berücksichtigung schiefer Verteilungen ohne Verteilungsanalyse
3. Aktionsauslösung
nach dem Bestellpunktverfahren Jetzt erfolgt auch die Zuführung der
(deterministisch ermittelten) Langfristbedarfe und der Abgleich mit
Lager- und Bestellbestand: a) bei Mangeldeckung, wenn nämlich am Planungshorizont b) bei "Unterdeckung",
wenn nämlich irgendwann bis zum Planungshorizont c) bei "Überdeckung", wenn nämlich am Planungshorizont
5. Steuerung über spezifische Servicegrade Es hat sich als sinnvoll erwiesen, besonders kritisches Material mit höherer, anderes mit niedrigerer Sicherheit zu disponieren. Entscheidend sind die Kosten, welche bei fehlender Lieferbereitschaft entstehen. Eine elegante Lösung ist die Erweiterung des Servicegrades SG durch den Sicherheitsfaktor fS zum spezifischen Servicegrad SGs ( = fS*SG ) - mit der Begrenzung, kleiner als 100% zu bleiben. Gilt z.B. ein genereller Servicegrad von 95%, dann führt für kritische Teile ein Sicherheitsfaktor von 1,04 zu einem spezifischen Servicegrad von knapp 99%, ein Sicherheitsfaktor von 0,95 andererseits zu einem spezifischen Servicegrad von gut 90%. Die Auswirkungen auf die Bestände und damit auf die Kapitalbindung - aber auch auf die Lieferbereitschaft - sollten offensichtlich sein. Falsch, weil unkontrolliert und
unkontrollierbar, ist es, eine
Sicherheitsvariation über die Bestellmengen anzustreben. Es ist für die
Praxis äußerst fragwürdig, die Reserven dispositiv zu reduzieren und
damit unnötige Fehlmengen in Kauf zu nehmen, nur weil durch
Markteinflüsse ein höherer SG erreicht werden konnte. Das würde zu dem
Paradoxon führen, zum Jahresende die Marktbelieferungen einzustellen,
um den zugebilligten Fehlmengenspielraum auszuschöpfen. Auch solche
Überlegungen kursierten unter den Experten in den 80er Jahren...
Nachträge aus 2011
1a BESSI (Nr 1):Es ist natürlich richtig, dass "eine Zufallsvariable plus eine Determinierte immer noch eine Zufallsvariable" ergibt (ZOLLER, 1987), in praxi aber scheint die Varianz der Summe beider größer zu sein als die der Zufallsvariablen allein. Das wird besonders deutlich, wie schon erwähnt, bei zusammengefassten Paketaufträgen für Ersatzteile, die sonst zu "Ausreißern" führen, aber auch bei anderen Großaufträgen. 1b. BESSI (Nr 1): Zu beachten ist auch, dass der (mengenbezogene) Beta-SG bei hohem Langfristanteil unerwartet hoch ausfallen kann, da dieser Anteil im Grunde deterministisch disponiert wird, der vorgegebene SG sich aber nur auf den Kurzfrist-Anteil bezieht, Fehlmengen theoretisch also nur dort zu erwarten sind. 2. JESSI-s (Nr 2): Die VA-Dispo wird weiter verbessert durch ein neues optionales Element, den "Soll-Verbrauch". Dadurch werden die Kurzfrist- und Langfristzeitreihen für die Bestimmung von Planbedarf bzw Bestellmenge durch realistisch modifizierte Zeitreihen ersetzt. Nachträge aus 2024
1. Wissenschaftliche Überprüfung ![]() Die gewünschte wissenschaftliche Überprüfung anhand von realen Datensätzen steht leider immer noch aus; eine vorgesehene Diplom-Arbeit ging dann andere Wege. Es ist bedauerlich, dass in der Forschung aufgrund der alles beherrschenden EDV-Systeme an einer grundsätzlichen Überprüfung überkommener Methoden kein Interesse mehr besteht. 2. Veröffentlichung Eine Veröffentlich aus den Anfangsjahren (1991) habe ich im Archiv aufgetrieben: BeschaffungAktuell-91
BA S.46 BA S.47 BA S.48 BA S.49 3. Diskussion
Ich verweise auf diesen meinen Zusatz 4. Simulation Das Simulationsprogramm, welches die Überlegenheit der VA-Dispo bei allen Beispielen theoretisch belegt hat, steht allgemein zur Verfügung; es lädt zur Überprüfung ein... ![]() Zusammenfassung 1. die Kombination von stochastisch-verbrauchsgesteuerter und deterministisch-bedarfsgesteuerter Disposition für jedes Einzelteil (BESSI) 2. die einheitlich-kombinierte Bestimmung von Bedarf und Sicherheit auf der Basis spezifischer Beschaffungszeiten (JESSI) 3. die dynamische Bestellmengenoptimierung im Ausgleich von Zyklusbestand und Bestellaufwand (RADIX) ![]()
Literatur
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Neumünster, 27.12.2024 *
Egbert W Gerlich *
ewg@ew-gerlich.de
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